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Rembrandt oder Streetart? – Die Zeit reicht nie.

Zweimal war ich bisher in Amsterdam: Das erste Mal kurz nach der Wende. Als DDR-Bürger mit Fernweh hatte man so seine Träume. Meine waren recht bescheiden und hießen: Radtour durch Holland, Radtour (schon wieder!) durch Irland und – seltsamerweise – eine Tour durchs Ruhrgebiet. Bei letzterer hatte ich keine speziellen Wünsche bezüglich des Fortbewegungsmittels.

 

Die beiden erstgenannten Touren waren große Erfolge, da sie meinen Erwartungen (sprich: Klischees) voll und ganz entsprachen: Holland war bunt – in jeder Beziehung, Irland war grün, und es hat oft geregnet. Das Ruhrgebiet war eine Enttäuschung. Ich hatte jede Menge Stahlwerke, Rauchschwaden am Horizont, Ruß in der Luft und Straßen voller Bergarbeiter erwartet und stellte dann fest, dass die „blühenden Landschaften“ dort schon längst Wirklichkeit geworden waren. Die Dreckecken musste ich regelrecht suchen und wurde nur ansatzweise fündig in Duisburg-Ruhrort.

 

Aber zurück nach Holland. Mein stärkster Eindruck beim ersten Besuch in Amsterdam - die Coffee-Shops: Wir tranken O-Saft und Espresso und sahen den Holländern beim Kiffen zu. Nicht minder beeindruckend: Das Rotlichtviertel um die Oude Kerk (Alte Kirche), damals für mich ein wenig schockierend. 25 Jahre später mein zweiter Besuch in Amsterdam: Das Rotlicht-Viertel war ernüchternd, und an den Besuch eines Coffee-Shops verschwendete ich nicht einen einzigen Gedanken.

 

Ich wünschte, ich hätte nach einem der beiden Amsterdam-Trips sagen können, dass der Besuch des Anne-Frank-Hauses am eindrücklichsten gewesen sei. Leider habe ich an meinen Besuch von 1991 keinerlei Erinnerung mehr. Möglicherweise wurden aber auch jegliche Erinnerungsfragmente von diversen Dokumentar- und Spielfilmsequenzen überlagert, die ich zwischenzeitlich sah, so dass ich Selbst-Gesehenes und Geschichte aus zweiter Hand nicht mehr differenzieren kann.

 

In diesem Sommer war der Besuch des Anne-Frank-Hauses ganz fest eingeplant. Es war überhaupt der einzige Museums-Besuch in Amsterdam, der für mich von vornherein feststand. Aber es kam anders. Heutzutage sollte man die Tickets eben online buchen, oder man muss bis zu drei Stunden anstehen. Letzteres hätte ich sogar in Kauf genommen, aber wir waren um die Mittagszeit da, und mussten erfahren: Bis 15 Uhr kommen nur Besucher mit Online-Tickets rein. Anstehen darf man erst ab Drei.

 

Ein Zitat, das Laotse zugeschrieben wird, lautet: „Ein guter Reisender hat keine festen Pläne“. Und so stand ich zunächst enttäuscht auf der Prinsengracht und plötzlich vor der Wahl, das Rijksmuseum mit Rembrandts Nachtwache oder eine Banksy-Ausstellung aufzusuchen. Denn Reisen heißt ja: Die Zeit reicht nie! Reisen heißt auch, Kompromisse machen. Reisen heißt, sich entscheiden. Ich entschied mich für Banksy, nicht gegen Rembrandt.

 

Banksy ist ein politischer Streetart-Künstler. Mit seinen Graffitis wurde er zunächst in Bristol, seiner - vermeintlichen - Heimatstadt, später weltweit bekannt. „Vermeintlich“ insofern, da er versucht, anonym zu bleiben. Über seinen bürgerlichen Namen und seine Identität gibt es bisher nur Vermutungen. Einige seiner Werke hatte ich schon lange vor dem Ausstellungsbesuch gesehen – nicht in Bristol, London oder New York, sondern auf dem Smartphone meiner Tochter. Seine Graffitis sind sogenannte Stencils, erfordern also Schablonen – im Gegensatz zu freihändigen Graffitis.

 

In Amsterdam besuchten wir die Ausstellung „The Art of Banksy“. Diese findet noch bis zum 30. September 2016 in der Berlage-Börse im Stadtzentrum statt. (Die „Beurs van Berlage“ ist das ehemalige Gebäude der Amsterdamer Börse, benannt nach ihrem Architekten Hendrik Petrus Berlage.) Über die Ausstellung schreibt ihr Kurator Steve Lazarides, sie sei mit den fast einhundert ausgestellten Kunstwerken die größte und wertvollste Banksy-Ausstellung weltweit.

 

Diese Menge und Vielfalt reizte uns natürlich. Dort zu sehen sind unter anderem das Bild eines vermummten Demonstranten, der gerade zum Wurf ausholt, aber anstelle des erwarteten Pflastersteines oder Molotow-Cocktails einen Blumenstrauß wirft, ein Porträt von Winston Churchill mit Punk-Frisur und eine Skulptur in Form von Michelangelos David als Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel.

 

Beim Betrachten der gerahmten Bilder – etliche von Ihnen waren aufgrund ihrer handlichen Abmessungen durchaus für die heimische Wohnzimmerwand geeignet - fragte ich mich zunächst, warum ein politischer Streetart-Künstler seine Werke überhaupt auf Leinwand bannt und an Sammler verkauft. Aber vermutlich muss der Mann auch von irgendetwas leben, und illegale Häusergraffitis werden wohl eher schlecht bezahlt.

 

Mein Kunstgenuss wurde von kommerziellen Aspekten beim Betreten und Verlassen der Ausstellung flankiert und von diesen ein wenig getrübt: Die Eintrittskarten waren teuer, die Banksy-Poster ebenfalls, und ein halber Liter Wasser im Tetra-Pack mit einen Aufdruck von Banksy's „Mädchen mit dem Ballon“ kommt zumindest sehr „speziell“ daher. Da kann man sich schon mal fragen, wie das Ganze zu einem antikapitalistischen Sprühkünstler passt. Oder wird da Kommerz gemacht ohne Banksy's Beteiligung?

 

Das scheint so zu sein: Die Ausstellungsstücke stammen von privaten Sammlern und aus der Sammlung des Kurators Lazarides. Letzterer war bis vor einigen Jahren Banksy's (de facto) Agent, eine Arbeitsbeziehung, die laut Lazarides' Internetauftritt im Jahr 2009 endete. Und Banksy selbst betont auf seiner Website, er werde nicht von Steve Lazarides oder einer anderen kommerziellen Galerie repräsentiert.

 

Die Banksy-Ausstellung war dennoch einer der Höhepunkte meiner zweiten Amsterdam-Reise. Mein Interesse an Banksy's Arbeiten jedenfalls ist geweckt und ich hoffe, bei einer meiner nächsten Reisen – egal, ob nach Bristol, London, New York oder anderswo - ein Häusergraffiti von ihm zu sehen. Was das Anne-Frank-Haus betrifft: Es wird nicht mein letzter Amsterdam-Besuch gewesen sein.

 

Anke Wolfert: A Tribute to Banksy
A Tribute to Banksy

Links:

Anne-Frank-Haus: www.annefrank.org

Der Künstler: banksy.co.uk

Die Ausstellung: www.theartofbanksy.amsterdam/en/the-art-banksy/

Lazarides: www.lazinc.com