Wo Wildnis, Wind und Kommerz um die Vorherrschaft kämpfen. Trekking in Patagonien.

Patagonien hieß das Sehnsuchtsziel und Trekking die Aktivität, die uns reizte und von der wir nicht wissen, wie lange wir "old ladies" sie noch betreiben können. Wir, das sind meine ehemalige Kommilitonin Birgit und ich. Uns verbindet eine vier Jahrzehnte währende Freundschaft. Zwei Trekkingtouren sollten es sein: Der W-Trek, eine Streckenwanderung im chilenischen Nationalpark Torres del Paine und ein Rundkurs im argentinischen Nationalpark Los Glaciares. Und damit sich die Reise lohnt, hatten wir noch einige Erlebnisse drumherum organisiert. Insgesamt waren wir vier Wochen unterwegs. 

 

Trekking im Nationalpark Los Glaciares: Patagonien für Anfänger

 

Die Vorfreude auf Fitz Roy und Cerro Torre beginnt bei der Anreise, der mehrstündigen Busfahrt von El Calafate nach El Chalten: Der Bus fährt direkt auf die beiden markanten Granitberge zu. Wir sind begeistert! In El Chalten checken wir in einem Hostel ein. Am Abend schlendern wir durch den Ort und landen zufällig auf einem Wanderweg, der zu einer Aussicht auf Fitz Roy und Cerro Torre führt. Das Panorama ist genial! Doch zuvor müssen wir den Eintritt in den Nationalpark entrichten. Für den gewünschten 7-Tage-Pass geht das nur online. Der Akku von Birgits Handy ist fast leer, die Internetseite des Parks ist auf spanisch - und verwirrend: Warum müssen wir die Ziffern der Passnummer eingeben, aber wirklich nur die Ziffern? Das dauert, und der Akku stöhnt. Eine junge Argentinierin hilft uns.

Tag 1: Am Morgen brechen wir mit unseren Trekkingrucksäcken von El Chalten auf. Heutiges Ziel ist der Zeltplatz Poincenot. Es sind zahllose Wanderer unterwegs, meist Tagesausflügler. Am Nachmittag erreichen wir den Zeltplatz. Seine Infrastruktur: Plumpsklo und Wasser aus einem Bach. Schnell bezahlen wir beim Ranger die Übernachtung und bauen unser Zelt auf. Obwohl ich bereits ziemlich abgekämpft bin, geht es noch hoch zur Laguna dos Tres - mit kleinem Gepäck. Auf halber Höhe sehen wir eine Wanderin, die von mehreren, gut ausgerüsteten Alpinisten betreut wird. Sie liegt auf einer Isomatte im Schlafsack und mit Goldfolie bedeckt. Der folgende Abschnitt ist steil und steinig. Oben angekommen suchen wir ein windarmes Plätzchen hinter Felsbrocken, die Generationen von Wanderern aufgeschichtet haben müssen. Wir genießen die Aussicht auf Gletschersee und Felsen, und wir essen mit großem Appetit unser Menü aus der Tüte. Beim Abstieg passieren wir erneut die Wanderin, die noch immer auf die Bergrettung wartet. Ihr Anblick veranlasst mich, besonders vorsichtig zu gehen.

Tag 2: Beim Aufbruch wieder ein schöner Blick zum Fitz Roy! Der Tag beschert uns eine beschauliche Wanderung mit wenig Höhenmetern durch Wälder und an zwei Seen entlang. Tagestouristen sind hier eher selten unterwegs. Es wird ein entspannter Tag bei sonnigem Herbstwetter. Tagesziel ist der Zeltplatz Agostino, der an einem Gletscherfluss liegt. Infrastruktur wie Tags zuvor. Vom Zeltplatz führt ein kurzer Fußweg leicht bergan zur Laguna Torre. Unser Gipfelerlebnis ähnelt dem vom Vortag: Heute schützen uns aufgeschichtete Hölzer vor allzu kräftigem Wind - ausreichend, um den Kocher zu nutzen. Wir warten stundenlang und hoffen, dass der Cerro Torre uns auch noch seinen dritten und längsten Zacken zeigt. Das tut er nicht, dennoch ist es eine gute Zeit, wir machen viele Fotos und ich nehme ein belebendes Fußbad im Gletschersee.

Tag 3: Wir wollen am Gletschersee frühstücken. Als wir ihn erreichen, beginnt es zu tröpfeln. Birgit gerät in Panik wegen ihres Zeltes, das sie nicht nass einpacken will. Wir brechen hastig auf. Ich halte meine Ziploc-Tüte mit Müsli und heißem Wasser in der einen Hand, unsere beiden Becher mit Kaffeepulver und meine Trekkingstöcke in der anderen und versuche, ihr hinterher zu eilen. Das gelingt mir nur mäßig. Da das Zelt unter einem Baum steht, ist es trotz des Regens trocken geblieben. Wir packen, ich esse mein Müsli, wir trinken Kaffee und starten die 3. Etappe. Für einen kurzen Moment lässt der Cerro Torre alle drei Zacken durch die Wolken blitzen (!). Auch dieser Tag wird recht entspannt, es geht viel bergab, es nieselt gelegentlich, und die Strecke ist landschaftlich reizvoll. In El Chalten angekommen sind wir beide dennoch erschöpft und genießen unser kleines, gemütliches Ferienhäuschen, die heiße Dusche und frische Wäsche. 

Am Tag darauf bringt uns der Bus wieder nach El Calafate, wo wir einen Teil unseres Gepäcks in der Pension gelassen haben, welches wir für die nächste Tour benötigen.

 

Trekking im Nationalpark Torres Del Paine: Willkommen im Kapitalismus!

 

Der Busbahnhof von Puerto Natales ist von Wanderern, deren Altersdurchschnitt dem Alter unserer Kinder entspricht, völlig überlaufen. Alle paar Minuten starten Busse zum Nationalpark. Es kostet uns einiges an Zeit und Nerven, den Bus zu finden, für den wir Tickets gekauft haben. Nach zweistündiger Fahrt erreichen wir den Park. Dort müssen wir aussteigen und einem Ranger die Eintrittskarten zeigen. Danach holen wir die Rucksäcke aus dem Gepäckraum des Busses: Sie sind nass! Da ist wohl einem Mitreisenden der Wassersack ausgelaufen. Gott sei Dank sind unsere Daunenschlafsäcke trocken geblieben, da wir sie wasserdicht verpackt haben. Allein die Nässe an Rücken und Schultern trübt den „Tragegenuss“. Weiter gehts mit einem Shuttle Bus (Natürlich sind extra Tickets erforderlich.) zum Beginn des W-Treks, dem Welcome Center mit Cafeteria, Toiletten, Shop.

 

Tag 1: Am Start weist ein Schild auf das Verhalten bei Puma-Sichtung hin: Abstand halten, nicht rennen, nicht annähern. Wir folgen dem Wanderweg zum Camp Chileno. Da wir im Camp erst ab 14:00 Uhr einchecken dürfen, lassen wir unser Gepäck in der dortigen Gaststätte auf einem Haufen mit Rucksäcken und steigen zum Mirador de Las Torres auf. Es sind sehr viele Wanderer unterwegs, die meisten kommen uns bereits entgegen. Der Weg wird schroff und alpin. Oben am Gletschersee zu Füßen der Torres werden wir Zeuginnen eines Heiratsantrages. Der junge Mann geht auf die Knie, die Frau nimmt erfreut an, und alle Umstehenden sind angemessen gerührt. Nach einigen Fotos treten wir den Rückweg an. Im Camp erwarten uns Komfortzelte. Sie verfügen über eine dicke Matratze und Schlafsäcke und befinden sich auf Plattformen zwischen Bäumen. Zugänglich sind sie über eine Leiter. Die Unterkunft ist dermaßen überteuert, dass wir uns sogar einen Welcome Drink in der Gaststätte aussuchen dürfen. 

Tag 2: Wir setzen unsere Tour fort vom Camp Chileno zum Camp Cuernos: Blauer Himmel mit Schäfchenwolken, viel Sonne und heftiger Wind. Einen Großteil der Strecke laufen wir zwischen Bergkette und See entlang und genießen die Aussicht auf den Nordenskjöld-See und die umgebenden Berge mit Schneefeldern. Wir queren Bäche, sowohl über kleine und größere, hölzerne Hängebrücken laufend, als auch im Flachwasser von Stein zu Stein hüpfend. Im Camp Cuernos errichten wir unser Zelt auf einer Holzplattform ca. einen halben Meter über dem Gelände. Das Befestigen des Zeltes – ohne Häringe - wird zur Herausforderung. Schließlich hilft uns einer der Mitarbeiter des Camps - mit Akkuschrauber und Holzschrauben.

Tag 3: Heute haben wir unsere anspruchvollste Etappe vor uns, und wir sind in Sorge, ob wir die schaffen. Wir starten beim Camp Cuernos, passieren das Camp Frances und gelangen zum Camp Italiano, das „Camp“ heißt, aber keines mehr ist. Mit leichtem Unbehagen deponieren wir unsere Trekkingrucksäcke in einem riesigen Holzregal im Freien, das bereits mit unzähligen bunten Rucksäcken vollgestopft ist. Wir wollen hoch hinaus - zum Mirador Britannico. Einen ersten Fotostopp machen wir am Mirador Frances, der Aussicht auf den gleichnamigen Gletscher bietet. Mehrere Male sehen wir, wie sich Schneefelder vom Gletscher lösen und in die Tiefe ergießen. Zwei Stunden später erreichen wir den Mirador Britannico mit grandioser Rundumsicht. Ja, auch das Wetter spielt mit! Nach einer Rast treten wir den Rückweg an. Als wir das Camp Italiano erreichen, ist es bereits später Nachmittag, und das Gepäckregal ist fast leer. Wir sind erleichtert, als wir unsere Trekkingrucksäcke unversehrt vorfinden und gönnen uns eine ausgiebige Pause. Schließlich haben wir noch 7,5 km (2,5 h) bis nach Paine Grande vor uns. Völlig erschöpft und mit schmerzenden Beinen kommen wir am Abend dort an. Schnell das Zelt aufbauen, duschen, das Essen zubereiten. Während wir essen, drängeln die Reinigungskräfte, die die Küche sauber machen wollen.

 

Tag 4: Mein linkes Sprunggelenk schmerzt heftig, die Bergstiefel und eine Bandage stabilisieren es. Das erste Viertel der Strecke lässt sich leicht laufen. Auf halbem Weg stürmt es so sehr, dass wir uns kaum auf den Beinen halten können. Die Raincover der Rucksäcke sind hervorragende Segel. Das 3. Viertel der Strecke hält zwei steile, felsige Abstiege für uns bereit. Ich komme ins Straucheln, als mein schwerer Rucksack bestimmen will, wo es langgeht. Wir benötigen fast 5 Stunden, um das Camp am Grey Gletscher zu erreichen, anstelle der geplanten 3,5 Stunden. Als das Zelt steht, spazieren wir zu einem der Aussichtspunkte über den Gletscher. Am Abend setzt Regen ein. Wir sichern uns zwei Plätze in der Camperküche und geben diese bis zum Schlafengehen nicht mehr her. Wir versuchen, unter dem Tisch diskret Wäsche zu trocknen. Und wir sind nicht die einzigen: In unmittelbarer Nachbarschaft zu Birgits T-Shirt hängen Herren-Boxershorts, Farbe: Petrol.

Tag 5: Es stürmt und regnet die ganze Nacht. Am Morgen stellt Birgit fest, dass ihre Bergstiefel, die in der Zeltapsis standen, nass sind. Die Laune ist im Keller. Sie bessert sich erst durch das Kayaking entlang der Gletscherfront, eine geführte Tour, an der wir am Vormittag teilnehmen. Danach schlüpft Birgit mit trockenen Socken in Plastiktüten und dann in die nassen Lederstiefel. Das funktioniert hervorragend! Die Wanderung zurück nach Paine Grande ist einfacher als befürchtet, allerdings ist es wieder sehr windig. Wir kommen gut in Paine Grande an: W-Trek geschafft! Für die Nacht haben wir 2 Betten in einem 6er Zimmer gebucht. Das Zimmer ist sauber, aber zu eng. Und zu teuer ist es sowieso! Die Duschen sind heiß - und unappetitlich: Man steht 10 cm tief in der Brühe des Vorgängers, das Wasser fließt nicht ab. Ich beschließe, nach dem Duschen die Füße im Waschbecken abzuspülen. Dazu muss ich ein Bein ins Becken schwingen. Das geht einmal gut. Beim zweiten Mal rutscht das Standbein im rosa Badelatschen weg, und ich knalle mit dem Rücken auf die Fliesen – ohne Schaden. Zum Essen gönnen wir uns ein Bier und eine Pizza. Die Pizza ist riesig. Birgit schafft ihre nicht. Ich werde zum ersten Mal seit einer Woche satt, denn beim Trekking waren wir „gewichtsoptimiert“ und „unterkalorisch“ unterwegs.

Am nächsten Morgen: Ich habe 11 Stunden geschlafen. Mein Fußgelenk schmerzt unvermindert. Wir bleiben so lange wie möglich im Bett, unsere Zimmerteiler sind schon weg, wir holen uns einen Kaffee und halten Ausschau nach dem Katamaran. Nach der Überfahrt über den Lago Pehoe heißt es zwei Stunden warten auf den Bus. Im Nirgendwo. Natürlich gibt es eine Cafeteria, die guten Umsatz mit den Wartenden macht. Warum Katamaran und Bus nicht besser aufeinander abgestimmt sind, bleibt im Dunkeln. Schließlich erreichen wir erneut Puerto Natales, das für uns schon fast ein Zuhause ist. 

 

Vergleich beider Trekkingtouren

 

Im Nationalpark Los Glaciares war eine Übernachtung nur im eigenen Zelt möglich. Die Zeltplätze sind archaisch – im besten Sinne des Wortes. Es gibt keine Versorgungsmöglichkeiten. Trinkwasser bekommt man aus Flüssen und Bächen oder aus Gletscherseen.

 

Im Nationalpark Torres del Paine gibt es vielfältige Unterkünfte auf jedem Preisniveau. Viele sind lange im Voraus ausgebucht. Vor der Reise hatten wir gelesen, dass man Übernachtungen vorbuchen MUSS. In der Realität schien das anders zu sein. Die Zeltplätze sind groß und meist mit Duschen, Küche, Gaststätte ausgestattet. Lebensmittel können in einigen Camps gekauft werden.

 

Wer Einsamkeit beim Wandern sucht, wird diese auf beiden Touren höchstens auf einigen Streckenabschnitten finden - oder weit außerhalb der Saison. Beide Treks sind Touristenmagneten, wobei der W-Trek deutlich bekannter und überlaufener ist. Besonders stark frequentiert sind die Abschnitte zwischen Camp Chileno und Mirador de Las Torres sowie zwischen Camp Italiano und Mirador Britannico.

 

Reisezeitraum: Februar / März 2025